Eine der wesentlichen Übersetzungen komplexer, innerer dynamischer Prozesse in ein aufschlussreiches, therapeutisches Erleben und Arbeiten stellt die wunderbare Intervention Inneres Kind dar. Diese durchaus hilfreiche Sichtweise für die Klienten geht auf die Arbeiten des US-Philosophen, Theologen und Psychologen John Bradshaw zurück.
Wie so viele Prozesse, die in der Therapie aus verquasten Theoriegebilden zurück in eine anwendbare Erlebnissprache gebracht werden (sollten), um dann wieder verständlicher und besser wirken zu können, verhält es sich auch mit der Perspektive eines inneren Kindes: Es ist eine Metapher, und zwar symbolisierend dafür, dass wir uns bestimmte, prägende Erlebnisse in unserer Entwicklung auf recht komplexe Weise merken – und dieses uns wiederum im späteren Leben auf besondere Weise beeinflusst. Hierbei spielen sowohl die eigentliche (vermeintliche, inhaltliche) Erinnerung, als auch die damit verbundenen, nervlichen (Erlebnis)Sensationen und subjektiven, sinnhaften Wahrnehmungen, sowie damit wechselseitig korrespondierende Gefühle eine besondere Rolle. Es ist also bei unseren prägenden Erinnerungen eine Art Gesamtmix abgespeichert aus nervlichen, gefühlshaften und erinnerten, inhaltlichen, eigenen Wahrnehmungen.
Unser inneres Kind lässt uns spüren
Mit solch einem komplexeren Verständnis von unseren Erinnerungen lässt sich im therapeutischen Prozess ein Unterschied herausarbeiten zwischen dem reflexionsfähigen Erwachsenen-Ich und dem (oft festgeschriebenen) Kind-Erleben zur damaligen Zeit.
Eine Arbeit mit dem inneren Kind bedeutet also, die Ebenen mitanzusprechen, die damals miteingeflossen sind in die komplexe Abspeicherung und die darauffolgenden Zuschreibungsqualitäten zu der Situation. Behutsames Dekonstruieren, Neulernen und -bewerten, sowie bestimmte Perspektivveränderungen werden dann möglich.
Dieses inszenierte aber direkte In-Kontakt-Gehen mit der eigenen „früheren Person“ lässt oft interessante, neue Erkenntnisse zu. Denn wir sind zwar >erwachsen<, aber zum Teil eben auch nur uns selbst als Kind entwachsen. Und dort, wo sich das innere Kind prägend konstituiert hat wie ein „innerer Wächter“, hält es uns auf Trab.
Es möchte im therapeutischen Prozess mit Verständnis behandelt werden. Das bedeutet eben nicht nur logisch-rational „widerlegt“ von einem heute erwachsenen Ich, sondern tatsächlich verständnisvoll gesehen und abgeholt werden. Dazu gehören also weitere Ebenen – die sich im übrigen auch mal der Logik entziehen können. Heilungsarbeit darf hier umfassender verstanden und angewandt werden. Somit lassen sich dann auch die zusammenhängenden, weiteren Sensationen (perzeptive, gefühlshafte, nervliche) berücksichtigen und das innere Kind eventuell heilsam beeinflussen.
Erich Kästner und seine wunderbare Sprache
Sie wissen, ich bin Jemand, der Literatur studiert hat. Und zu diesem Thema passt abschließend dann auch ein wunderschöner Satz Erich Kästners, der treffend und humoresk bemerkte: „Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit“.
Innere Anteile ≠ Inneres Kind
Um mit einer Art Trend aufzuräumen: Die Arbeit mit inneren Anteilen stellt zwar ebenfalls eine Intervention (in der Therapie wie im Coaching) dar, hat aber wenig mit der Intervention des Inneren Kindes zu tun. Leider-leider wird es oft in einem Zusammenhang genannt oder auch gleich verquickt in Übungen oder Übungsbeschreibungen. Die Tatsache, dass viele „neue Therapiearten“ Versatzstücke renommierter Therapieverfahren beinhalten, wirkt dem leider nicht entgegen. Die populärwissenschaftliche und zunehmende, mediale Verbreitung therapeutischer Interventionen trägt auch nicht zur Differenzierung bei. Allerdings gilt natürlich letztlich das, was ich zu Beginn dieses Artikels schrieb: eine (Rück)Übersetzung komplexer Theoriegebilde in eine anwendbare, verständliche Sprache ist hilfreich im therapeutischen Prozess – Alles, was hilft, ist gut. Egal, ob man es nur neu zusammengebaut und benannt hat oder sonst irgendwie anders zusammengemixt.
Nun also: Innere Anteile oder Anteilsarbeit gehen als Begriff des „Inneren Teams“ auf Friedemann Schulz von Thun zurück. Einflüsse kommen hierbei auch über den Begriff der Autokommunikation aus dem Estnisch(-russischen) durch den Semiotiker Juri Michailowitsch Lotman (1970), und später dann die klassischen, kommunikationstheoretischen Modelle (Broms & Gahmberg und Neuberger) Mitte der 80er. Wir sind hier eher im Feld kommunikationstheoretischer Forschung, die in therapeutische (und gruppendynamische) Prozesse eingeflossen ist (das hab ich im übrigen studiert, und nicht etwa Psychologie, die seinerzeit noch altbacken und unmodern daherkam).
Innere Anteile sind also so etwas wie verinnerlichte Rollenrepräsentationen, die in uns aktiv sind, da wir uns nunmal sozial identifizieren. Hier treffen wir dann also auch den berühmten >inneren Kritiker<, von dem so viel geschrieben und geredet wird, als eine mögliche Repräsentation. Mit der Art und Weise, wie wir als Kind prägende Erlebnisse abspeichern (s.o.), hat das relativ wenig zu tun.
Die Tatsache, dass zum Thema zahlreiche Bücher geschrieben wurden, machte all diese Begriffe recht bekannt. Bei den Google Trendfragen (also den sehr häufig gestellten) tauchen daher auch Fragen wie diese auf:
„Ist der innere Kritiker das innere Kind?“
Meine schlichte Anwort, die ich hier hoffentlich ausreichend differenziert darlegen konnte, lautete also: Nein.