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Die Wut, die wir nicht leben

Nach dem Artikel über die Trauer, die wir nicht sehen, möchte ich in diesem Sinne weiterdenken und über die Wut schreiben, die sich subtil in uns ereignet und zu wenig Beachtung findet. Klar, die offensichtliche Wut ist uns bewusst und wir, vielmehr noch unser:e Gegenüber, nehmen sie wahr. Doch Wut kann, ebenso wie Trauer, viel häufiger in uns präsent sein, und wir kompensieren sie im Verhalten gekonnt, geschult und manchmal geradezu meisterlich.

Es ist gar nicht so leicht, im therapeutischen Prozess an die Wut heranzukommen; ich bin immer froh, wenn sich hierbei kleine Türen öffnen, und wir mit dieser Energie arbeiten können – Wut hat in diesem Sinne oft hilfreiche Kraft für uns, wie z.B. die „gesunde Trennungswut“, mit der wir endlich über die Trauer einer gescheiterten oder nicht funktionierenden Beziehung hinwegkommen könn(t)en.

Doch es geht noch subtiler. Ich denke gerade an eine tolle Klientin vor vielen Jahren, eine sehr intelligente, intellektuelle Frau voller Lebensweisheit und mit viel gelebter Lebenserfahrung. Ihre Traurigkeit über einige Phasen in ihrer Biographie waren gefunden und miteinander besprochen, doch wo blieb die „helfende“ Wut… wir stellten zusammen fest, dass es davon sehr viel geben musste, eigentlich, und fingen an, sie zu imaginieren und zu personalisieren, sie bekam sogar einen Namen. Bei der Arbeit hierin spürte ich eine aufkommende Energie in ihr, die Augen fingen an zu leuchten, und es wurde sogar viel zusammen gelacht (eine gesunde Aggression). Weil es so gut lief, begann ich einfach mal die nächste Stunde damit, den Gegenstand, den wir symbolisch hierfür identifiziert hatten, als Begleiter:in neben ihren Stuhl zu stellen (wo er die Sitzung zuvor am Ende gelandet war) und sie so zu begrüßen. Diese kleine, spielerisch-provozierende Geste blieb nicht ohne Wirkung, ich könnte sagen: die folgende Stunde war wirklich ergiebig, und ich durfte mir gleich Einiges anhören. Jetzt wurde die Wut gelebt, und das war gut.

 

Wut für sich

Wir werden wütend, wenn wir uns gefährdet fühlen. Nicht selten haben wir dann kurzzeitig „Phantasien“, die etwas über das zivile Gebaren hinausgehen, welches von uns vernünftigerweise erwartet wird. Man könnte sagen, dass Wut uns innerlich „archaisch“ oder „zum Tier“ werden lässt (eben als sog. Basisgefühl bei Überflutung uns zum Angriff befähigen soll), gleichzeitig aber durch unser ziviles Verhalten permanent unterdrückt und verdrängt wird – zu unser aller Wohl. „Menschlichkeit“ hat ja etwas damit zu tun, sich zueinander verhalten zu können und somit auch einen eventuellen, eigenen Moment der Wut zu „bändigen“.

Doch wohin geht die Wut, wenn wir sie wichtiger-, sinnvoller- und glücklicherweise nicht ausleben? Hierbei ist natürlich auch wichtig zu beachten, dass die Auslöser (warum wir uns gefährdet fühlen) eine sehr wichtige Variable darstellen. Ich sage (oder schreibe) das nur, weil es wichtig ist, es soll hier (dennoch) nicht besprochen werden. Es lohnt sich eigentlich immer, bearbeitet zu werden, falls Jemand:e mit „Wut“ ein Thema hat. Und wer hat das eigentlich nicht.

 

Die ungelebte Wut

Hier möchte ich nun die Gedanken ungesehener Trauer und ungelebter Wut fortführen. Denn ich denke, wir erleben im Alltag zahlreiche Momente mit Wut in subtilen Formen, ohne sie bewusst als solche zu identifizieren.

Klar, recht offensichtlich werden wir wütend zum Beispiel im Stau, evtl. überhaupt bei unerwarteten Wartezeiten oder technischen Problemen (Computer!), etc. – das sind Formen der Wut, die uns vermutlich noch am ehesten bekannt sind. Doch wie ist das mit der Wut als Beschützer emotionaler Enttäuschung? Ich meine diese Art innerer „großer Bruder“, der dann kommt und Widersacher:innen in die Schranken weist. Gefühle der Enttäuschung über Andere (emotionale Bezugspersonen) oder über uns selbst können verdeckte Formen der Wut darstellen, die wir auch gern leugnen. In diese Kategorie passen ebenfalls unterdrückte Bedürfnisse, die nicht erfüllt werden können, sollen oder dürfen (also in fremden oder eigenen Erwartungsbezügen). Auch sich einfach nicht erfüllende Wünsche (bis zu Lebensträumen) können durchaus zu einer Wut anschwellen, die nicht unbedingt direkt adressiert oder leicht erkennbar ist.

Das Überschreiten persönlicher Grenzen (auch wenn sie uns selbst gar nicht bewusst sein müssen) kann (hoffentlich, möchte ich fast sagen) zu einem Gefühl der Wut führen. Egal, ob ich nun selbst meine Grenzen überschritten habe (wissend oder unwissend) oder Jemand:e anderes. Auch ungelöste Konflikte auf der Arbeit können eine Quelle nicht offen liegender Wut sein.

Ungelebte Wut (dauerhaft abgewehrt oder kompensiert) kann zu Stress, Depressionen und Angstzuständen führen. Die Unterdrückung von Wut kann sich schließlich auch in körperlichen Symptomen wie Kopfschmerzen, Problemen mit der Verdauung (wir mussten schließlich „Einiges schlucken“) oder Schlafstörungen äußern – all solche somatischen Sensationen müssten dann bitte und natürlich auch mit den jeweiligen Hausärzt:innen abgeklärt werden.

Nun könnte ich ganz viel schreiben, was wir da in der Therapie zusammen machen könnten, aber dies ist kein Ausbildungsseminar, sondern eine Infoseite zu Ihrer werten Inspiration als mögliche:r Klient:in.

Ganz sicher werden wir aber erst einmal ein feineres Bewusstsein für die eigenen Gefühle und (Abwehr)Reaktionen erspüren, um auch eine eventuelle, subtile Wut zu erkennen. Wie wir zusammen arbeiten wollen, hängt immer davon ab, wie sich wir Beide (oder alle Anwesenden) damit fühlen, und ich verweise hier auf meine Eingangssätze auf der Startseite – für Jede:n sollte eine eigene Therapie, eigene Zugänge zu den möglichen Themen entwickelt werden. Manchmal braucht das etwas Zeit, manchmal geht es schnell, manchmal passt es nicht oder eine andere Form (Ihrer Selbstarbeit hierin) wäre ratsamer.

 

Embrace your self

Doch die Anerkennung und der konstruktive Umgang mit unseren Emotionen auch in ihren subtilen Formen ist ein entscheidender Faktor für unser emotionales Wohlbefinden.