narrative perspektive

Wir sind die Geschichten, die wir über uns erzählen

„Bühne frei!“ wäre ja manchmal ganz schön als Motto für uns. Doch lehrt uns die narrative Perspektive in der Therapie, dass unsere innere Bühne kaum frei ist. Im Gegenteil: wir sind auf besondere Weise mit den Geschichten und Erzählungen verbunden, die wir über uns selbst und unser Leben erzählen.

Viele dieser Geschichten beeinflussen unser Selbstbild bzw. Selbstkonzept. Unsere Selbstnarrationen entwickeln wir wie ein Surrogat, verstärkend oder in abwehrender Gegenidentifikation zu Umwelten und Ereignissen, zu denen wir uns in Bezug gesetzt haben.

In der narrativen Perspektive als Methode der Systemischen Therapie, bzw. in der ‚Narrativen Therapie‘ (nach White und Epston) geht es nun darum, die Aspekte der negativ prägenden Geschichten und Erzählungen zu identifizieren und zu bearbeiten. Das bedeutet auch, sie vorsichtig zu hinterfragen und neue Perspektiven zu öffnen, bzw. Veränderungen zu ermöglichen.

Die Schilderungen, die wir als Erwachsene über unsere Kindheit geben, bestehen nachweislich aus Gedanken und auch Phantasien, die wir durch die verschiedenen Schichten unseres Heranwachsens gebildet haben. Viele „tatsächliche“ Kindheitserinnerungen wurden darin verwoben, aber auch neu geordnet und teilweise verzerrt – das ergeben zahlreiche Vergleichsstudien seit den 80er Jahren, wo man Kinder- und (rückblickende) Erwachsenenerinnerungen verglich. Louise Kaplan hat es wunderbar mit einer Art Strick- oder Häkelmuster verglichen (bzw. eigentlich war es ihre Lektorin, die auf das Gleichnis kam):

Alte (Denk)Muster werden um(sich)greifend erweitert. Während dieses Komplexität aufbauenden Prozesses wird aber auch immer wieder zurück (in die Vergangenheit) gegriffen, ins vorige Muster. So werden alte Muster in neue Erweiterungen integriert.

Dabei können aber auch abwehrend so genannte „Deckerinnerungen“ entstehen, die teils aus früheren oder späteren Erinnerungen bestehen und in ein erinnertes Ereignis „hineingehäkelt“ werden, teils aber auch „eine Wahrheit mit einer Fälschung verdecken“ sollen – so Kaplan in Ihren Erläuterungen (einem einleitenden, wissenschaftlichen Hintergrund zu Themen kindlich sexueller Neugier).

 

Hofmannsthal’s Kleines Welttheater – eine „Bühne auf der Bühne“

Zurück zu unseren Narrationen, ein Abstecher in die wunderbare Literatur. Sie wissen vielleicht, ich bin Jemand, der in den 90ern nicht Diplompsychologie studiert hat, sondern Erkenntnistheorie und eben deutsche Literatur. Somit erhalten Sie bei mir auch immer philosophische Bezüge, wenn es sich anbietet, und bei der narrativen Perspektve bietet es sich sehr an. Hugo von Hofmannsthal verfolgte in seinem literarischen Werk ebenfalls die Idee, dass wir uns Alle in unserem Leben in einer Art Inszenierung wiederfinden – mit festgelegten (zugewiesenen, selbst identifizierten oder gegen-identifizierten) Rollen, Szenen und Bedeutungszuschreibungen. Im „Kleinen Welttheater“ begegnet uns, wie auch im bekannteren Werk „Jedermann“, das Motiv der „Welt als Bühne“: Hofmannsthal’s Figuren verkörpern bestimmte Aspekte menschlicher Existenz – z. B. Tugenden, Laster oder (Selbst-)Berufungen – und spielen diese in einem theatralen Spiel aus.

Dies sei erwähnt als schönes Beispiel dafür, dass Philosophie und Kunst natürlich auch versuchen, die Wesensart von uns Menschen durchzuspielen und zu spiegeln. Hofmannsthal’s Werk in der beginnenden, literarischen Moderne ist als Beispiel besonders reizvoll, da genau zu dieser Zeit ein gewisser Sigmund Freud in Wien wirkte. Hofmannsthal war persönlich begeistert von Freuds psychoanalytischen Theorien, man kannte sich auch – selbst wenn Freud eine distanzierte Haltung zu Literatur und Kunst zeigte, wie oft berichtet wird, und z.B. über sich schrieb:

„Ich kann nichts anderes sein als ein Laie auf dem Gebiete der Ästhetik und der Dichtkunst“

(Sigmund Freud, Der Dichter und das Phantasieren, 1908)

Gleichzeitig bewunderte Freud das Werk einiger Künstler des Fin des Siècle wie z.B. Arthur Schnitzler, bezeichnete diesen wiederholt gar als seinen „Doppelgänger“, mied aber den Kontakt mit ihm.

Nun ja.

 

Der Mensch als Akteur seiner eigenen Geschichte

Zurück zur Selbstnarration im therapeutischen Kontext. In den narrativen Therapieansätzen wird also betont, dass wir zum großen Teil durch unsere Eigenerzählungen unsere Selbstwahrnehmung und Identität konstruieren. Wie ein*e Drehbuchautor*in verfassen wir unsere eigene Lebensgeschichte, legen Schwerpunkt und Deutung fest und erschaffen so ein „Stück“, in dem wir zugleich Hauptdarsteller*in und Regisseur*in sind. So entstehen Selbst-Sicht, Selbst-Verständnis und unsere persönliche Geschichte.

 

Inszenierung und mögliche „Umschreibungen“

Unsere Geschichte haben wir immer aus unserem Selbstverständnis heraus empfunden und erzählt. In unserem nachspürenden Gespräch lassen sich nun aber wie in einem Theaterstück die verstandenen Rollen(zuweisungen) oder Handlungsabläufe hinterfragen oder sogar verändern. Ein so genanntes Re-Authoring oder Umschreiben unserer eigenen Geschichte.

Indem wir in der Therapie behutsam und authentisch Ihre persönliche Geschichte betrachten, und dabei die prägenden Szenen, Wendepunkte und Rollenverteilungen bedenken, können wir manches Mal etwas im Selbst-Verständnis Neues entdecken.

 

Narrative Perspektive – die Kraft des Details

Es können Details sein, die sich in unserer Lebensgeschichte zu einer starken Narration über uns selbst entwickeln. Und die dann über Jahre hinweg starken Einfluss auf uns und unser Selbstkonzept haben.

In mir finden Sie neben dem geschulten Therapeuten im übrigen auch einen beruflich erfahrenen Autoren, der mit Ihnen gern die eine oder andere Wendung überdenkt. 😉