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Disconnection – Reconnection. Unser Verlust & Bedarf an Verbundenheit

Die Erosion unserer direkt-interaktionalen Verbundenheit

In unserer modernen Welt geraten wir in eine zunehmend paradoxe Situation. Einerseits sind wir durch unsere Smartphones und speziell über die „sozialen Medien“ allzeit vernetzt und scheinbar eingebundener als je zuvor, aber eben nur virtuell und nicht „live“ bzw direkt, sondern zeitversetzt. Wir haben Facebook-Freunde, Instagram-Follower, Tiktok oder auch LinkedIn / Xing Verbindungen, etc pp. Unsere Emailkonten sind auch durchgehend geöffnet, und kaum Jemand:e benutzt keinen Messengerdienst – wir interagieren virtuell mit unseren Kontakten viel mehr als noch vor 10 Jahren.

Anrufen oder auch angerufen werden ist andererseits etwas, das ohne vorherige Absprache als nicht mehr angemessen gilt. Dabei würde das Gespräch über das Telefon einen zwar (technisch) vermittelten, aber immerhin direkten, interaktiven Austausch ermöglichen.

Wenn wir hier mal nachspürten, was uns am direkten Telefonat so unangemessen erscheint, kämen wir vielleicht zu der Beobachtung, dass uns die direkte, interaktive Kommunikation fremder geworden ist – und ich glaube, ich stelle keine wilde Hypothese auf, wenn ich sage, dass sich dies nicht nur in einem zeitlichen, sondern auch kausalen Zusammenhang mit der Zunahme virtueller, zeitversetzter Kommunikation ereignet. Es wirkt wie eine Ablösung, oder Verschiebung der Gewohnheiten mit zusammenhängenden Konsequenzen. Zu meiner Studienzeit (Ende der 90er) habe ich noch über kommunikations-soziologische Aspekte der „Maschine Telefon“ geschrieben – es gab noch keine Smartphones: das wirkt heute beinahe schon befremdlich redundant und aus der Zeit gefallen.

 

Hyperverbundenheit

Es ist eine Entwicklung, doch ist es auch ein Fortschritt? Ich behaupte also einen Zusammenhang zwischen der virtuellen „Hyper-Verbundenheit“ und einer (gefühlten) Abnahme von realen, tiefgreifenden Begegnungen, und das beinhaltet sicher einige Aspekte. Ich denke, diese Entwicklung führt zu einer signifikanten Veränderung der Art und Weise, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und mit ihr interagieren.

Und ich vermute noch einen weiteren Zusammenhang: eine deutliche Zunahme des Bedarfs (und der wirtschaftlichen Nachfrage) an Reconnection-Angeboten: Yoga, Meditation, alle möglichen Therapieformen und Workshops- oder Gruppenangebote. Ist das nur zeitlicher Zufall? Es ist ein zur gleichen Zeit einsetzender, unglaublich boomender Markt – und wohl den Menschen, die sich a) im städtischen Raum befinden, und b) auch in ihren sozialen Netzwerken so zurechtfinden, dass sie hier sozial in all den Gruppen andocken können.

Die Hyperverbundenheit und technische Dauervernetzung verändern Vieles in unserem Leben, sie führen im übrigen auch zu einer reduzierten Fähigkeit höherer Konzentration. Doch ich bleibe mal nur bei unseren Kommunikationsgewohnheiten.

 

Digitaler Kokon

Wir sammeln ‚Likes‘ durch unsere ‚Posts‘ und präsentieren darin ein idealisiertes Selbstbild von uns. Diese Art der Kommunikation ist mittlerweile häufiger als (und ersetzt somit zunehmend) „tiefer gehende“, persönliche Gespräche und direkte, zwischenmenschliche Verbindungen mit nicht-fehlerfreien Realpersonen. Zum Beispiel verbringt ein:e Jugendliche:r heutzutage Stunden auf Instagram, Tiktok o.ä. und interagiert mit Hunderten von Followern – es ist aber nicht allzu selten, dass sie/er trotzdem Gefühle und Verhaltensweisen zeigt, die an eine sich isoliert fühlende Person erinnern.

Im digitalen Kokon mit den zeitversetzten Interaktionen unserer digitalen Persona mit ihren Kontakten entstehen nun neue Kommunikations- und Begegnungsphänomene, zum Teil recht neuer Art. (Zumeist) Jüngere Menschen können z.B. Geschichten erzählen von „Catfishing“, welches nicht nur Betrug oder Trolling als Motivation haben muss, sondern über eine gewisse Zeit Begegnungen oder gar Parasoziale Beziehungen (PSB) ermöglichen kann. Wenn allerdings eine Seite hier den Wunsch äußert, sich direkt mal zu sehen oder direkt zu interagieren (auch technisch vermittelt), wird diese Begegnung in aller Regel plötzlich beendet.

 

Unsere Komfortzone wird beeinflusst durch unseren digitalen Kokon

Es gibt sehr viel, was man hier weiter assoziieren könnte. Ich glaube zum Beispiel, dass wir heutzutage ängstlicher sind als früher und eine geringere Selbstwirksamkeitserwartung haben durch den Einfluss moderner Kommunikationsformen. Man könnte sagen: wir haben uns in der virtuellen Welt eingerichtet in einem digitalen Kokon – einer virtuellen Ableitung unserer persönlichen Komfortzone. Diesen digitalen Kokon bilden wir auf eine aktive Weise, und er wird auch passiv beeinflusst. Aktiv durch unser sich veränderndes Kommunikationsverhalten, das ich persönlich einschätzend hier ja oben beschrieben habe. Passiv durch eine weitere Entwicklung, nämlich die (immer weiter zunehmende) Anpassung von Inhalten, Angeboten und „Suchergebnissen“ in unseren vernetzten Welten an unsere digitale Persona. Mit „digitaler Persona“ meine ich eine durch zahlreiche Informationen über uns entstandene Repräsentanz von uns – bei Google, Amazon, Meta (Facebook, Instagram, Whatsapp) und vielen Anderen mehr.

Nun, das Internet ist wirklich nicht mehr das, was es Anfang des Milleniums (oder gar davor) war – ich denke, damit sage ich Ihnen nichts Neues.

 

Größere Bewusstheit (wieder)erlangen

Was denken Sie zu diesen Themen? Wie bewusst ist Ihr Umgang mit den digitalen Medien und Geräten? Wie reagieren Sie auf die veränderte Kommunikations- und Informations-Lebenswelt Ihrer Kinder oder deren Generation(en)?

Bewusste Beobachtung ist immer ein guter, erster Schritt, finde ich. Und für eine evtl gewünschte „Reconnection“ habe ich unter dem Thema Salutogenese auch ein paar Ideen, die ich Ihnen nahebringen kann.