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Das Phänomen ‚Adaptive Persönlichkeit‘ – Echoismus und Selbstobjekt

Eine faszinierende Dynamik unter uns Menschen ist das adaptive Verhalten in Umwelten. Die Systemtheorie weist adaptives Verhalten allen lebendigen Wesen zu, und selbst Bakterien und Viren passen sich bekanntlich an. Doch beim Menschen ist es besonders: Wir leben und agieren, verhalten und identifizieren uns in Beziehungen und Umwelten. Das Augenmerk hierauf zu legen, ist ja ein wesentliches Merkmal der Systemischen Therapie.

Nun gibt es in menschlichen Partner*innenbeziehungen immer wieder Dynamiken, die eine besondere Ausprägung des adaptiven Verhaltens zeigen, welches sich geradezu als Persönlichkeitsmerkmal gefestigt hat, semantisch also als ‚adaptive Persönlichkeit‘ bezeichnet werden könnte. Dieser Begriff ist zwar treffend, jedoch leider schon als ein Teilmerkmal bei der grundsätzlichen Definition von ‚Persönlichkeit‘ in Gebrauch. Ich möchte ihn hier dennoch in meinem Sinne zur Beschreibung dieses Phänomens benutzen. Ich könnte jetzt scherzhaft bemerken: ich will ihn adaptieren, doch das wäre nur verwirrend.

Menschen mit einer adaptiven Persönlichkeit zeigen ein besonderes Verhalten in partnerschaftlichen Beziehungen, und es entstehen dadurch intensive Momente scheinbarer (charakterlicher) ‚Ähnlichkeit‘ und intensive Gefühle eines besonderen Zusammenpassens beim Gegenüber. Vielleicht denken Sie, dass dies doch stets der Fall ist bei Verliebten. Und ja, beim Sich-Verlieben gibt es eine ähnlich Dynamik: Sich zu Beginn stark anzupassen und auch das Gefühl, ’sich ganz ähnlich zu sein‘ – und sich dann mit der Zeit gegeneinander auszudifferenzieren. Doch bei dem Phänomen der adaptiven Persönlichkeit geht diese besondere Anpassung über die Verliebtheitsphase hinaus und hat auch wenig mit diesem rauschhaften Gefühl des Verliebtseins zu tun, sondern ist ein durchgehendes Merkmal im Beziehungsverhalten.

Die Person gegenüber (andere Partner*in) glaubt, hier in einer ganz besonderen Liebesbeziehung zu leben, da sie ja in ihren ’narzisstischen Bedürfnissen‘ gespiegelt wird (Sie können sich begrifflich auch ‚Ich-Bedürfnisse‘ denken). Nicht selten wird dann im übrigen nach einem oft plötzlichen Ende der/dem Gegenüber von der adaptiven Persönlichkeit ausgerechnet ‚Narzissmus‘ vorgeworfen. Es ist wirklich eine interessante Dynamik. Und dies soll an dieser Stelle kein Freibrief für alle Narzissten (zur Entlastung) sein, denn die gibt es weiterhin und oft unabhängig hiervon auch. Hier geht es mir um die adaptive Persönlichkeit.

Schematisch vereinfacht: Person A (adaptive Persönlichkeit) passt sich in vielerlei Hinsicht den Bedürfnissen von Person B übermäßig an; trennt sich (oft plötzlich) nach kürzerer oder auch längerer Beziehung von Person B. Person B wurde zuvor in ihren Bedürfnissen gespiegelt, wird nun aber (oft mit verwirrenden Erklärungen, als ob es um eine andere Beziehung ginge) verlassen.

Sie können sich denken: Bei der Person gegenüber (besagter Person B) kann eine solche Trennung zu großen Fragezeichen führen, zu quälenden, wiederkehrenden Fragen nach den Gründen des Abbruchs der Beziehung (durch A), und manchmal gar zu einer regelrechten Identitätskrise. Ich möchte hier nun einige Aspekte zu dieser Dynamik ansprechen und Ihnen Anregung geben, falls Sie in einem solchen Dilemma steck(t)en. Natürlich ist es nicht komplett, und falls Sie dazu arbeiten wollen, können Sie natürlich jederzeit für einen Termin anfragen.

 

Piaget und das Lernverhalten von Kindern

Um ganz vorne zu beginnen: Wir kennen den Begriff des adaptiven Verhaltens positiv geprägt durch Piaget, er untersuchte und beschrieb es bezogen auf das Lernverhalten von Kindern. Stellen Sie sich ein Kleinkind vor, das lernt, nach Gegenständen zu greifen: mal müssen die Finger etwas gespreizter zugreifen, um größere Gegenstände zu fassen, mal enger, um feinere Dinge zu halten (sog. ‚Assimilation‘). Wenn nun aber ein Wasserstrahl ergriffen werden soll, verhält es sich plötzlich ganz anders: das Kleinkind lernt, dass die Handhaltung eine völlig andere sein muss, damit das Wasser nicht einfach durch die Finger durchfließt: es kann nur geschöpft werden. Das Kind lernt also, seine angeeigneten Schemata zu verändern (‚Akkommodation‘), um auch Wasser ‚zu fassen‘.

Diese Fähigkeit zu adaptivem Lernverhalten zeigen wir glücklicher- und gesunderweise unser Leben lang. Adaptives Verhalten umfasst also unsere Anpassungsfähigkeit, welche wir vollführen können, um für uns vorteilhaft auf unsere Umwelten zu reagieren und letztlich unsere Lebensqualität zu verbessern. Adaptives Verhalten fördert unsere Funktionsfähigkeit in verschiedenen Systemen, unser Wohlbefinden und auch unsere soziale Integration.

Piaget weist aber auch darauf hin, dass wir uns ebenfalls dysfunktionale Strategien aneignen können (maladaptives Verhalten), um auf Umwelten und/oder Veränderungen zu reagieren. Kompensationen, Bewältigungsstrategien mit dysfunktionalen Besonderheiten, etc. – die Beispiele hierfür reichen von Vermeidungstechniken in sozialen Interaktionen (aus Angst vor Ablehnung), Zwangsverhalten, allen möglichen Süchten oder ungesundem Essverhalten, über kommunikativ dysfunktionales Verhalten wie eskalierende Streitkulturen oder mangelnde Konfliktfähigkeit, bis hin zu körperlichen Sensationen.

Ehrlich gesagt, haben wir uns Alle sicherlich bestimmte, maladaptive Verhaltensweisen angeeignet, und die Frage, ob man hierzu in der Therapie reflektieren oder arbeiten möchte, ergibt sich wohl vorrangig aus einem gewissen Leidensdruck. Nun denn, ich möchte mich in diesem Artikel auf ein ganz spezielles Phänomen konzentrieren: Mir geht es um ein übertrieben adaptives Verhalten (dysfunktional) in menschlichen Beziehungen und Partnerschaften.

 

Die adaptive Persönlichkeit in Beziehungen

Aus dem Spiel zwischen adaptiver und maladaptiver Aneignung im Anpassungsprozess entwachsen wir also der Kindheit. Um Konflikte zu vermeiden und Harmonie zu gewährleisten, haben wir als Erwachsene sicherlich so manche Strategie entwickelt. Die unangefochtenen Meister hierin sind adaptive Persönlichkeiten, die ihr Anpassungsverhalten so weit betreiben, dass sie mit ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen kaum noch erkennbar sind, und leider (in der Begegnung mit eine*r Partner*in) auch selbst keinen guten Kontakt mehr dazu haben. Es entsteht in der Beziehung eine regelrechte Schieflage.

Die adaptive Persönlichkeit

a) kann Schwierigkeiten haben, eine stabile und unabhängige Identität (zu entwickeln oder) aufrecht zu halten. Sie definiert sich über ihre Beziehung zur anderen Person. Dies kann zu einem Gefühl der Leere oder Unvollständigkeit führen.

b) orientiert sich in ihrer Selbstwahrnehmung stark an den Erwartungen und den Reaktionen Anderer. Dadurch kann sie stark abhängig von ihren Beziehungspartner*innen werden (oder z.B. durch Manipulation die Machtverhältnisse wieder ausgleichen).

c) vermeidet Konflikte oftmals, wodurch wichtige Themen oder auch Probleme in Beziehungen nicht angesprochen werden könnten. Dies führt mittelfristig zu weiteren Problemen.

 

Für die andere Person (den/die Partner*in) führt die oben beschriebene Schieflage dazu, dass sie

a) sich eine bestimmte Zeit lang sehr bestätigt fühlt

b) sich (dadurch) in einer sehr vertrauten Beziehung wähnt und evtl. den Glauben entwickelt, hier ein*e perfekte*n Partner*in vor sich zu haben

c) bei einem Abbruch der Beziehung aus allen Wolken fällt, wenn sich die adaptive Persönlichkeit nach erduldeter Zeit plötzlich freistrampelt oder mit neuen Aussagen überrascht, die vorherigen Bekundungen diametral zu widersprechen scheinen (wenn solch ein Befreiungsschlag nicht gleich zu einem Abbruch der Beziehung führt).

d) sich eventuell in der Beziehung (zuvor auch schon) unwohl fühlt, da ihr die dominierende Rolle häufig zugeschoben wird, z.B. bei Entscheidungen jeglicher Art

e) eventuell echte Intimität und Nähe manches mal nicht fühlt, da authentische Gefühle und Bedürfnisse ja nicht (bekannt sind und) ausgedrückt werden

 

Das Gute im Schlechten

Andererseits hat die sich übermäßig adaptiv verhaltende Person eine sehr fein ausgeprägte Antenne für die Bedürfnisse und Befindlichkeiten Anderer – wenn Sie so wollen, ist dies eine besondere Begabung, welche ihre Schattenseite in der Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse hat. Eine solch hohe, emotionale Sensibilität zu haben, bedeutet allerdings auch, dass befürchtete Zurückweisungen umso empfindlicher wahrgenommen werden – eine Angst, durch welche das adaptive Verhalten stabilisiert wird.

Eine weitere ‚gute Eigenschaft‘ der adaptiven Persönlichkeit liegt darin, dass sie es oftmals vermeidet, im Mittelpunkt zu stehen (weil es dann auch um die eigenen Bedürfnisse gehen könnte), und also sehr bescheiden wirken kann – was ja als durchaus angenehm empfunden werden könnte. Diese beiden Aspekte seien erwähnt, weil sie zu der Dynamik gehören und sozusagen ‚das Gute im Schlechten‘ darstellen.

 

Phänomen des Echoismus

Dieses Beziehungsverhalten wird zum Teil auch als Echoismus bezeichnet, wie es der US Psychologe und Harvard Dozent Craig Malkin beschreibt. Der Begriff lehnt sich an die schöne, antike Sage zur Nymphe Echo, die von der Göttin Hera (wegen eines Komplotts mit Zeus, eine andere Geschichte) damit bestraft wurde, nur noch das Ende des Gesagten vom Gegenüber zu wiederholen, und nicht mehr eigenständig zu reden.

Es kam nun in Folge ausgerechnet zur Begegnung mit Narziss (natürlich, was für ein Match! Siehe auch oben im vierten Absatz), für den sie faszinierenderweise im Dialog seine eigenen Aussagen spiegelte. Nun, in der Sage verschmähte er sie trotzdem, das spielt hier jetzt aber keine Rolle (wir wissen, Narziss verliebte sich schließlich nur in sein eigenes Spiegelbild im Wasser).

Doch erkennbar wird natürlich: die adaptive Persönlichkeit ist mit ihrem Echoismus eine fatal-passende Kombination zu einer narzisstisch veranlagten Person. Der Begriff Narzissmus erfährt hierbei im übrigen seit längerem eine Ausdifferenzierung, und auch Craig Malkin widmet dem ‚gesunden Narzissmus‘ in Tradition von Heinz Kohut u.a. ganze Bücher. Wir bleiben hier beim Gegenpart, der Adaptiven Persönlichkeit.

 

Selbstobjekt und C.G. Jung

Auch aus der Selbstpsychologie kennen wir den Begriff des Selbstobjekts, der das Verhalten einer Person beschreibt, die sich selbst durch Bedürfnisse Anderer definiert, und sich somit passiv und eher wie ein Objekt behandelt, verkürzt ausgedrückt. Ich erspare Ihnen weitere Ausführungen, es soll nur verdeutlichen, dass das Phänomen bereits viel diskutiert wird. Auch bei Carl Gustav Jung ist ja in seinen Ausführungen zu den ‚Archetypen‘ etwa von der ‚Nur-Tochter‘ die Rede. Sie sehen: das Phänomen ist alt und hat weitreichende Wurzeln in der psychologischen Forschung.

Ich finde nun den Begriff der ‚adaptiven Persönlichkeit‘ am passendsten und auf gute Weise selbsterklärend. Falls Sie zu diesem Thema arbeiten möchten, können Sie gern ganz einfach einen Termin anfragen: