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Das Arthur Schnitzler Zitat – und die Grautöne unserer Seele

„Am Ende gilt doch nur, was wir getan und erlebt – und nicht, was wir ersehnt haben“

(Arthur Schnitzler)

Der Arzt, Psychologe und Literat Schnitzler wusste ganz sicher, dass Wünsche und Sehnsüchte einen bedeutenden Teil der menschlichen Psyche ausmachen. In vielen seiner Werke erkennen wir Figuren, die in Wunschbildern und Phantasien verharren, während das reale Leben an ihnen vorbeizieht.

Wenn Schnitzler als Autor eine besondere Sorgfalt in die Entwicklung solcher Figuren legt, dann scheint dieser Sinnspruch einen gewissen Kontrast zu seinem künstlerischen Wirken zu zeichnen, oder meint er es anders?

Ich glaube, es kommt dem Wörtchen „doch“ große Bedeutung zu: Wenn man es betont, verdreht sich die Bedeutung, wie bei einem Scharnier, durch welches sich eine liebgewonnene Perspektive verändert. Doch kann beinahe als ein Resümee verstanden werden und dann eine solche Schwere bekommen, dass etwas Resignatives mitschwingt.

 

Schnitzlers Schaffenszeit war die Wiener Moderne

Schnitzlers literarisches Umfeld, die Zeit der beginnenden Moderne und des Fin de Siecles, zeigte nämlich Künstler, welche nicht sonderlich alltagspragmatisch oder gar existenzialistisch waren (diese Epoche kam erst später auf, durch Sartre u.a.). Es waren vielmehr Künstler, welche eine Art Untergangsstimmung auf besondere Weise kultivierten. Man ging in Totenhäuser, um sich zu inspirieren und dort z.B. Gedichte zu schreiben, und zelebrierte den geglaubten „Untergang des Abendlandes“. Hugo von Hofmannsthal schrieb in seinem wunderschönen und traurigen Gedicht Ballade des äußeren Lebens:

Was frommt’s, dergleichen viel gesehen haben?
Und dennoch sagt der viel, der Abend sagt,
ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt
wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.

(Ballade des äußeren Lebens, letzte Strophe)

Hofmannsthal galt als Freund Schnitzlers – dieses Zitat könnte zu Schnitzlers Sinnspruch passen, sofern man sich ein (leicht resignatives) „eben doch“ denkt. Oder es passt gar nicht. Also was nun…

 

Schnitzler sicher kein Existenzialist

Das Betonen, dass Sehnsüchte zwar intensiv erlebt sind, aber im Außen nur die Taten zählen, könnte als Vorläufer des Existenzialismus falsch verstanden werden. Der Literat in mir vermutet, es ist das Trauern um das Verlorene Gefühl: das Kultivieren, ja Zelebrieren der Sehnsüchte geht zuende. Die Moderne beginnt. Sie reißt menschliche Sehnsüchte in die Bedeutungslosigkeit. Dies zu betonen, bedeutet, sie ein letztes Mal intensiv zu erleben.

 

Es folgten Jahrzehnte der Extreme

Zugegeben, es ist nicht das fröhlichste Zitat. Es folgten aber auch extreme Jahre in den 20ern, 30ern und 40ern. Ein späterer Lichtblick ist das Chaplin-Zitat, über das ich schon schrieb. Er forderte das Fühlen zurück, in einer absurd gewordenen Maschinenwelt.

 

Gefühlte Sehnsüchte & gesunder Pragmatismus

Wir wissen Alle, dass unsere Sehnsüchte, auch wenn sie nicht „realisiert“ werden, dennoch existieren. Vielleicht als Ideal, für das wir stehen, auch wenn wir es nicht erreichen. Wer hier Bilanz zieht in der Art, dass es „etwas gebracht haben muss“, hat etwas Wesentliches ignoriert. Unsere Träume, Sehnsüchte und Gefühle motivieren uns. Sehnsüchte sind nicht wertlos. Auch wenn sie keine „zählbaren“ Resultate hinterlassen sollten, sind die eventuell das, was uns ausmacht.

In der modernen Psychotherapie begegnen wir allerdings auch Menschen, deren Leben von unerfüllten Sehnsüchten geprägt ist. Diese Diskrepanz zwischen unerfülltem Sehnen und der grauen Realität kann zu einer tiefen inneren Unzufriedenheit führen, die sich schleichend in eine Verstimmung manifestieren kann. Unerfüllte Träume und Sehnsüchte, die das Leben von Menschen durchziehen, können wie ein Schatten sein, der ihnen das Licht der Gegenwart raubt.

Wir spüren, dass eine gesunde Balance zwischen pragmatischem Handeln und sehnsüchtigem Träumen notwendig ist.

 

Vielleicht sprach der Arzt in Schnitzler

Im Wien zu dieser Zeit laborierte ja auch ein gewisser Sigmund Freud, und depressive Verstimmungen wurden zunehmend thematisiert. Vielleicht war es ja auch der Arzt und Psychologe in Schnitzler, der Pragmatiker, der hier sprach. Nach all der Kultivierung der Untergangsstimmung ein pragmatischer Kommentar. Eine zentrale Aufgabe bis heute in der Therapie besteht darin, den Blick des Patienten von unerfüllten Sehnsüchten weg, und hin zu dem zu lenken, was erlebt und erreicht wurde. Diese Rückbesinnung auf die realen Erfahrungen und Errungenschaften kann eine neue, positivere Sicht auf das eigene Leben entwickeln.

Die Konfrontation mit der (eigenen) Endlichkeit und die Akzeptanz, dass nicht alle (motivierenden) Sehnsüchte erfüllt werden können, kann einen therapeutischen Wendepunkt darstellen. Dies bedeutet nicht, dass Wünsche und Träume bedeutungslos sind, sondern dass sie im Kontext des gelebten Lebens eine eigene Gewichtung erfahren.

Ein Leben, das zählt, weil es gelebt wird.