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„Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen“ (wohl kein Hermann Hesse Zitat)

 

Ein bemerkenswerter Sinnspruch, der häufig als Hermann Hesse Zitat gelistet wird. Jedoch gibt es dafür keinerlei Belege. Weder die werkskritische Suhrkamp Ausgabe von 1970 verzeichnet es, noch kann man es in den zahlreichen Briefen, Tagebüchern oder Essays finden. Auch die internationale Hermann-Hesse-Gesellschaft hat schon mehrfach darauf hingewiesen, dass dieses Zitat nicht in ihren Beständen zu finden ist.

Die „Quelle“ ausgerechnet zu diesem Spruch ist also ironischerweise unbekannt. Doch steckt eine gewisse Weisheit in diesem Sinnspruch. Ich habe ihn ursprünglich als Hesse Zitat besprochen, und möchte es jetzt nicht löschen, weil es nicht von Hermann Hesse ist. Eine Assoziation, die ich habe, wenn ich diesen Spruch Hermann Hesse und seiner zeitlichen Ära andichtete, wäre das Gleichnis zu einer Quelle und einer von ihr wegströmenden Menge. Die Quelle bringt die Menge dabei zum Strömen – zu Hesses Lebenszeit gab es da nachvollziehbare, negative Assoziationen.

Die Intention der/des Autor*in liegt in der zweiten Satzhälfte (u.a., weil es der Hauptsatz ist). Gegen den Strom schwimmen, um zu dessen Quelle (bzw. dem Ursprung von Etwas) zu gelangen – ist erst einmal eine besondere Energieleistung, denn es geht gegen die gesammelten Kräfte, die in einem solchen Strom einer (Wasser)Menge verborgen sind.

 

Grundsätzlich liegt der „Main-Stream“ nicht falsch – er hat in sich aber kein Korrektiv

Dieser Strom des Flusses könnte auf unser menschliches Verhalten übertragen das Phänomen des Konformitätsdrucks oder Anpassungsbestrebens beschreiben. Und ebenso unsere bewussten oder unbewussten Wünsche nach (Systemerhaltung und) Harmonie. Das klingt für Manche vielleicht so, als wäre der Strom immer etwas Negatives – doch dieser Strom des Flusses wird ja nicht per se kritisiert (im Sinne von „sperrt Euch Alle gegen dem Strom des Flusses, haltet ihn auf!“). Die Hauptbewegung der großen (Wasser)Menge ist naturgegeben, und für sich ist das nicht falsch, dass der Fluss in eine Richtung fließt. Es ist nicht automatisch ein politisches, zeitgeschichtliches oder philosophisches Gleichnis dafür, dass etwas „schief läuft“ oder falsch fließt.

 

Ich denke, worum es hier geht, ist, die Zweifler und Kritiker unter uns grundsätzlich zu bestärken und ihnen Mut zuzusprechen. Auf ihrem vergleichsweise immer viel schwereren Weg.

 

Denn Zweifel sind wichtig und auch systemrelevant. Wir wissen ja, dass der Zweifel eine der Grundlagen und -haltungen der Wissenschaft ist. Selbst wenn wir unsere Zweifel nach eingehender Prüfung verwerfen könnten, festigte dies ja auch ein Ergebnis oder eine Hypothese, was also ebenfalls gut wäre.

 

Der Mut der Zweifler und der Gleichmut der Nichtzweifler

Ich denke bei diesem schönen Sinnspruch darüber nach, wie viel Kraft es braucht, sich gegen den Strom zu bewegen.

Wenn man es auf die uns Menschen so beliebte Dualität herunterbrechen will, klingt hier eine unserer urspünglichen Grundbewegungen an, nämlich das Spiel der sich scheinbar widersprechenden Kräfte von Autonomiebestreben und Harmonie-(Bindungs)wunsch. Ich will hier ja nur Gedanken anregen und nichts Besonderes behaupten – doch denke ich, „Kritiker“ haben es meist schwerer als „Harmonisierer“, und sind dabei im Diskurs für unsere Entwicklung so notwendige Regulator:innen.

 

Wer definiert die Grenzen, wo Etwas gilt oder nicht mehr gilt – und damit das System?

Auch die Kunst speist sich grundsätzlich weniger aus einer harmonischen Bewegung, als aus der gegenläufigen, kritischen. Oder glauben Sie, die Mehrheit unserer Gedichte, Lieder, Bilder, Theaterstücke etc. handelt davon, dass Alles gut ist? Alle Handelnden sind gesund, friedlich, glücklich.. nix (Schlimmes) ist passiert? In der klassischen Dramaturgie wäre das die Vorbereitung für einen bald hereinbrechenden Horror.

Auch aus den Gesetzen der Kybernetik wissen wir, dass jedes System durch sein beweglichstes Element definiert wird. Und in der Theorie der Systemkonzepte hören wir hierzu von den systemverändernden Randfaktoren. Soziologisch betrachtet berühren wir hier die sehr interessante Frage, was „normal“ ist (Systemharmonie). Und wodurch das definiert wird, wodurch sich zudem Veränderungen im Laufe der Zeit ergeben.

 

Nur Mut

Ja, Kritiker sind wichtig. Künstler auch. Auch wenn Du beispielsweise ein Ziel verfolgst, das von den Anderen (dem Strom) als unerreichbar oder unangemessen betrachtet wird, brauchst Du den Mut, Dich gegen die Strömung des bisherigen, konventionellen Wissens zu stellen. Du musst manchmal auch bereit sein, Risiken einzugehen und vielleicht unbequeme Entscheidungen zu treffen, um etwas Neues zu erreichen.

 

Was ist Erfolg?

Dieser Sinnspruch erinnert mich daran, dass auch der Weg zum Erfolg mit etwas Neuem – im Gegensatz zum Mainstream-Erfolg – oft steinig und schwierig ist. Aber wenn Du bereit bist, hart zu arbeiten und gegen den Strom zu schwimmen, kannst Du schließlich die Quelle erreichen und die Belohnung für die Anstrengung ernten. Es erfordert viel Kraft und Entschlossenheit, um gegen den Strom zu schwimmen und Deinen eigenen Weg zu finden.

 

So oder so ist es eine schöne Erinnerung daran, dass es selten der leichteste Weg war, der uns zu den bedeutenden Erkenntnissen oder Erfahrungen geführt hat.